Anschläge der Shabaab auf Ziele in Nairobi, vor allem im somalischen Viertel Eastleigh wie am vergangenen Sonntag, gehören inzwischen zur „wöchentlichen Routine“ in Kenias Hauptstadt – so beschreibt es der Somalia-Analyst Abdi Aynte. Über die Feiertage werden nicht zum ersten Mal Anschläge auf Ziele in Nairobi befürchtet, es herrscht Alarmstufe Rot. Und Kenias Regierung? Verliert die Nerven. Schuld, so erklärt Einwanderungsminister Otieno, seien die vielen Flüchtlinge im Land. Eine Verfügung, die der amtierende Flüchtlingskoordinator Sora Katelo und Kajwang‘ vorgelegt haben, verpflichtet deshalb alle somalischen Flüchtlinge,sich im Flüchtlingslager Dadaab anzusiedeln. Das betrifft nicht zuletzt hunderttausende Somalis, die in Nairobi, Mombasa und anderen Städten leben. Das UNHCR in Genf kommentiert vorsichtig: Generell lehne man die Internierung in Lagern ab, so ein Sprecher. Gespräche mit Kenias Regierung sind aufgenommen worden, ein Ergebnis ist aber noch nicht in Sicht.
Premier Raila Odinga, der sich mitten im Wahlkampf um das Präsidentenamt befindet, fordert bereits seit längerem die Ausweisung aller Flüchtlinge. Dass „Somalis raus“-Rufe immer lauter werden, ängstigt – zu Recht – die Parlamentarier aus Regionen, in denen somalische Flüchtlinge und ethnische Somalis mit kenianischem Pass leben.“Reaktionär“ sei das Vorhaben, urteilt etwa MP Aden Sugow. „Die Bedrohung ist real, aber Kenia sollte anstelle von populistischen Maßnahmen seine Sicherheitsinstitutionen stärken.“ Der ehemalige somalische Premier Abdiweli Ali kritisiert die Sippenhaft, in die alle Somalis – somalisch wie kenianisch – nach den Anschlägen genommen werden: „Die Aktionen einer schlechten Person sollten nicht zu politischen Maßnahmen führen, die eine unschuldige Bevölkerungsgruppe betreffen.“
Doch wie so oft, so setzt Kenias Regierung auch diesmal nicht auf die wirksamste, sondern auf die billigste Lösung – und riskiert damit, der Shabaab in die Hände zu spielen. Bislang unterstützt der größte Teil der in Kenia lebenden somalischen Bevölkerung den kenianischen Militäreinsatz gegen die Shabaab in Somalia. Viele der kenianischen Soldaten, die im Nordosten Kenias extra für die Somalia-Mission ausgebildet wurden, sind ethnische Somalis. Doch die Stimmung droht sich zu wenden – zumal Kenias überforderter Sicherheitsapparat nicht nur mit Worten, sondern auch mit massiver Gewalt gegen Somalis vorgeht. Der Amoklauf kenianischer Soldaten in Garissa, bei dem ziellos Häuser geplündert, Somalis misshandelt und der Markt der Stadt (Lebensgrundlage für dutzende somalische Händler) angezündet wurde, ist ein besonders schlimmes, nicht aber das einzige Beispiel dafür.
Je mehr Somalis in Kenia sich bedroht fühlen, umso größer dürfte ihre Bereitschaft sein, die eigentlich weitgehend verhasste Shabaab als Schutzkraft zu akzeptieren. Auf diese Weise könnte die Shabaab zwar die gegenwärtige Schlacht um Somalia verlieren, den Krieg auf lange Sicht aber gewinnen, glaubt Analyst Aynte. „Die verrückten Bomber müssen sich scheckig lachen, dass sie es geschafft haben, Kenianer gegen Kenianer aufzuhetzen“, glaubt der Kolumnist Macharia Gaitho. Die Shabaab kalkuliert offenbar darauf, dass weite Teile der kenianischen Bevölkerung Somalis (auch solche mit kenianischem Pass) nicht als vollwertige Kenianer anerkennen – das passt in die aufgeheizte Atmosphäre des kenianischen Wahlkampfs, in dem sich noch mehr als beim letzten Mal ein Missbrauch der Ethnien durch die kandidierenden Spitzenpolitiker abzeichnet.
Die Radikalisierung auf Seiten der kenianischen Regierung hilft den Radikalen der Shabaab. Wenn nicht schnell Vernunft die Oberhand gewinnt, droht der trügerische ‚Frieden‘ in Teilen Somalias in einen regionalen Konflikt umzuschlagen – ganz im Sinne der Shabaab.