In Genf haben sich der Iran und die fünf offiziellen Atommächte und Deutschland auf einen gemeinsamen Aktionsplan verständigt. Unabhängig vom Inhalt: Das Abkommen ist ein Sieg für die Diplomatie.
Der Durchbruch kam um 2 Uhr 55. Am frühen Sonntagmorgen, während die Bise eisig durch die verlassenen Straßen Genfs fegte, versammelten sich Catherine Ashton, Irans Außenminister Dschawad Sarif und die Außenminister der fünf offiziellen Atommächte und Deutschlands im Versammlungssaal des Hotels Intercontinental. Ashton verlas eine ausgehandelte Erklärung, die bequem auf eine Seite passte.
Tagelang hatten einige der mächtigsten Männer und Frauen der Welt hinter verschlossenen Türen gesessen. Zum zweiten Mal innerhalb von 14 Tagen waren sie eingeflogen, nachdem DiplomatInnen geringeren Ranges bei den Vorarbeiten an ihre Grenzen gestoßen waren. Diplomatie hinter verschlossenen Türen, das ist eine Form, die so gar nicht ins 21. Jahrhundert zu passen scheint, wo das Sendeschema der großen Nachrichtenkanäle den Takt vorgibt und sich HinterbänklerInnen wie SpitzenpolitikerInnen im Scheinwerferlicht sonnen.
Als vor zwei Wochen erstmals überraschend die Außenminister der 5+1-Runde einflogen, verkündeten manche ReporterInnen bereits den unvermeidlichen Durchbruch, noch während dunkle Limousinen die Minister ausspuckten. Die Enttäuschung war echt, als die Gespräche dann in die Verlängerung gingen. War nicht schon alles geklärt? Also sprachen die gleichen Reporter von einer möglichen Krise der Gespräche. Dann reisten Kerry& Co. ohne Ergebnis ab – da war vom Scheitern die Rede. Doch Diplomatie und Fernsehdramaturgie haben so gar nichts miteinander gemeinsam. Als William Hague am vergangenen Freitag gleich wieder gefragt wurde, es sei doch sicher schon alles klar, platzte dem britischen Außenminister der Kragen. „Wir sind nicht gekommen, weil die Dinge schon beendet sind“, erklärte Hague brüsk. „Wir sind hier, weil die Dinge schwierig sind und schwierig bleiben.“ Solche Sätze sind keine guten Soundbites.
Einen guten Soundbite lieferte dagegen US-Präsident Barack Obama, als er am 20. August 2012 im weißen Haus gefragt wurde, ob er einen Militäreinsatz in Syrien in Betracht ziehe. „Wir haben dem Assad-Regime immer klar gemacht, dass für uns eine rote Linie überschritten ist, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden“, antwortete Obama – ein Satz, der ständig wieder zitiert wurde, gerade weil er nicht diplomatisch war. Von George W. Bush, der gleich zu Militärangriffen schritt, ganz zu schweigen. Solche Sätze und Einsätze haben eine unterliegende Botschaft: da handelt jemand, entschieden und entschlossen. Das passt in eine Twitter-Nachricht von 140 Anschlägen.
Dagegen Diplomatie: erst sitzt man tagelang rum, und dann vereinbart man Abkommen, die auch noch Interpretationsspielraum lassen. So will der Iran ein halbes Jahr lang darauf verzichten, Uran so hoch anzureichern, dass es für eine Atombombe benutzt werden könnte. Vorhandene Vorräte hoch angereicherten Urans sollen verdünnt oder vernichtet werden. Die Anreicherung von Uran insgesamt wird beschränkt, ebenso wie die Nutzung und der Bau von Zentrifugen. Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur IAEA sollen all das lückenlos überwachen können. Der Iran stoppt zudem sämtliche Bauvorhaben am Schwerwasserreaktor in Arak, in dem waffenfähiges Plutonium produziert werden könnte. Im Gegenzug werden Sanktionen gelockert, die dem Iran Mehreinnahmen von mehr als sechs Milliarden Franken etwa aus dem Ölverkauf zusichern sollen.
Dem Iran sei damit das „Recht auf Urananreicherung“ zugesprochen worden, frohlockte Irans Außenminister Sharif noch in Genf. Weit gefehlt, erwiderte sein US-Gegenpart Kerry – „egal, was da für Kommentare gemacht werden.“ US-Präsident Obama spricht von einem historischen Abkommen, Israels Premier Netanjahu von einem historischen Fehler. Wer hat nun Recht?
Womöglich alle – und das entspricht dem Wesen der Diplomatie. Ein diplomatisches Papier will gekonnt verfasst sein, sagte schon Bismarck: nicht so genau, dass die Skepsis die Wahrheit herauslesen kann, aber doch mit soviel Spielraum, dass die Arglosigkeit ihre Wünsche hineinlesen kann. Das wichtigste Ergebnis der Genfer Atomgespräche lautet: die Waffen schweigen. Die Welt ist ein Stück friedlicher geworden, weil es eben keine Gewinner und Verlierer gibt. Weltpolitik ist keine Fernsehshow, und das ist gut so.
In Genf lebt mit der Diplomatie derzeit eine Kunst wieder auf, die lange als vergessen oder zumindest als wirkungslos galt. Nächste Etappe: Syrien. Ich habe kürzlich mit dem Chemiewaffenexperten Paul Walker gesprochen, der an diesem Montag den alternativen Nobelpreis verliehen bekommt. Er könne verstehen, dass die syrische Opposition über den Chemiewaffenvertrag mit Baschar al-Assad unglücklich sei, sagte er – aber die Zerstörung von Assads Chemiewaffen werde den Nahen Osten und die Welt mehr befrieden, als ein Militäreinsatz das je gekonnt hätte. Am 22. Januar wird Assad in Genf gestärkt bei den Syriengesprächen auftreten – das ist der diplomatische Preis, der für diesen Frieden zu zahlen ist. Ein hoher Preis – und doch gibt es zur Diplomatie nur eine Alternative, deren Preis noch höher ist: Krieg. Deshalb sollten wir uns über die Rückkehr der Diplomatie freuen – ohne Jubelstürme, sondern ganz diplomatisch im Stillen.
(erschienen in der Wochenzeitung, 26.11.2013)