Die römisch-katholische Kirche bietet dieser Tage einen medialen Superstar auf, der durch seine Bescheidenheit und seinen Einsatz für die Armen selbst Ungläubige an Sinn und Nutzen der Kirche erinnert. Andere Kirchen, etwa die evangelisch-reformierte Kirche in der Schweiz, haben so jemanden nicht. In Muri-Gümligen allerdings, einer 12.000-Einwohner-Schlafstadt nahe Bern, sind die Kirchenbänke sonntags dennoch vergleichsweise gut gefüllt – dank Ella de Groot, der örtlichen Pfarrerin.
Seit einigen Tagen genießt die gebürtige Niederländerin auch über ihre Gemeinde hinaus so viel Aufmerksamkeit, dass Franziskus glatt neidisch werden könnte. Dabei hat de Groot, während der Papst die Nobelkarossen aus den vatikanischen Parkgaragen entfernen ließ, lediglich eine Radiopredigt angekündigt. Die Überschrift aber hat es in sich: „Hört auf zu glauben!“. Sie selbst glaube nicht an Gott, lässt de Groot dazu noch vermelden; herkömmliche Gottesvorstellungen seien reine Einbildung. „Frau Pfarrerin glaubt nicht an Gott“, eine Schlagzeile made in heaven. Und auf einmal diskutieren die Schweizer über ihre reformierte Kirche, ihre Pfarrer und – ja, auch über Gott und Glauben.
Glauben, so sagt das Wörterbuch, bedeutet das Fürwahrhalten eigener Wahrnehmungen. Objektive Belege sind dafür nicht nötig. Der britische Mathematiker Bertrand Russell erklärte das so: wenn er behaupte, dass zwischen Erde und Mars eine winzige Teekanne um die Sonne kreise, dann könne das niemand widerlegen. Wolle er auf dieser Grundlage Zweifler zwingen, seinen Glauben zu teilen, würde man ihm vermutlich dennoch den Vogel zeigen. Doch wenn die Existenz dieser Teekanne in alten Büchern stehe und jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt würde, dann wären auf einmal nicht die Gläubigen, sondern die Zweifler ein Fall für den Psychiater – oder, in dunkleren Zeiten, für den Inquisitor.
Nun ist nicht bewiesen, dass Ella de Groot an eine um die Sonne kreisende Teekanne glaubt. Aber eben auch nicht an einen ‚herkömmlichen‘ Gott. Was sagt ihr Arbeitgeber dazu, dessen Geschäftsgrundlage genau dieser Glaube ist? Gängige Gottesbilder in Frage zu stellen, das gehöre zum Bild einer modernen Kirche, beschwichtigt der Berner Synodalrat Lucien Boder. In ihrer Karfreitagspredigt habe de Groot schon einmal angedeutet, wie sie Gott verstehe: Gott sei nur da, wo die Menschen sind. „Nur in der Liebe ereignet sich Gott.“ So ähnlich argumentiert auch der holländische Pfarrer Klaas Hendrikse, der als ‚gläubiger Atheist‘ durch die Lande zieht und damit viele (atheistische) Zuhörer dort abholt, wo sie stehen.
Der Philosoph Blaise Pascal riet den Menschen, an Gott zu glauben: denn entweder es gebe Gott, dann werde er die Gläubigen im Himmelreich belohnen. Gebe es ihn nicht, dann sei es ja letztlich auch nicht so schlimm gewesen. Besser als in der Hölle zu schmoren (so es sie denn gebe) sei das allemal. Muss man sich also sorgen um Ella de Groot, für den Fall jedenfalls, dass Gott existiert und sie (als Ungläubige) am Ende ihrer Tage in die Hölle fahren muss? Wohl kaum. Denn vielleicht werden aus den Zweiflern einst Gläubige. Gott (falls es ihn gibt) und ihrer Kirche, die keine Limousinen zum öffentlichkeitswirksamen Verschrotten hat, hat de Groot somit einen großen Dienst erwiesen. Dafür hat sie das älteste Mittel genutzt, das die Kirche besitzt: das Wort.
(veröffentlicht in der Berliner Zeitung vom 13.7.2013)