Wer trägt die Schuld an Somalias Hungertoten?

Geschätzte Zahl von Todesfällen während der Hungersnot in Somalia ©FAO, USAID

Geschätzte Zahl von Todesfällen während der Hungersnot in Somalia ©FAO, USAID

Der Hungersnot in Somalia sind zwischen Oktober 2010 und April 2012 258.000 Menschen zum Opfer gefallen – mehr als die Hälfte von ihnen, 133.000, waren Kinder unter fünf Jahren. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine und der Johns Hopkins Universität im Auftrag von FAO und FEWS.net, dem Frühwarnnetzwerk für Dürren des staatlichen US-Entwicklungshilfeträgers USAID.

Diese Zahlen sind dramatisch: die Zahl der Toten war der Studie zufolge mehr als anderthalb Mal höher als die bisher höchsten Schätzungen – eine Studie der britischen Regierung war von 50.000, maximal 100.000 Opfern ausgegangen. In der anderthalb Jahre währenden Dürre kam fast jeder zwanzigste Somali (4,6 Prozent) ums Leben – und jedes zehnte somalische Kind.

Die Bilanz ist auch deshalb dramatisch, weil die Dürre nicht nur vorhersagbar war – sie wurde sogar vorhergesagt. Schon im Sommer 2010 sagte FEWS.net das Ausmaß der Dürre weitgehend exakt voraus – wie die Studie und die aus ihr entnommene Graphik oben zeigt, lange bevor die ersten Somalis Hungers starben. In Somalia kämpften die islamistische Shabaab und die Truppen der Übergangsregierung zu diesem Zeitpunkt so heftig miteinander, dass auch Helfer bereits Mitte 2010 eine Katastrophe vorhersagten: die Kombination aus Ernteausfällen und Bürgerkrieg werde zur größten Hungersnot seit 60 Jahren führen, hieß es.

Doch unternommen wurde – nichts. In Europa war man mit der Bankenkrise beschäftigt. Erst im Juli 2011, auf dem Höhepunkt der Hungersnot, sagt die Bundesregierung Hilfen zu – 14 Millionen Euro, was angesichts des kurz zuvor von den UN gemeldeten Fehlbedarfs von mindestens 200 Millionen Euro lächerlich wirkte und war. „Es scheint, als wäre die Welt bereit zuzusehen, wie 750.000 Somalis Hungers sterben“, schreibt der nicht gerade für sein Gutmenschentum bekannte britische Economist. Für 258.000 wird diese düstere Prognose wahr.

„Hungersnöte sind keine Naturereignisse, sie sind Folge katastrophalen politischen Versagens“, reagiert die Somalia-Direktorin der Hilfsorganisation Oxfam, Senait Gebregziaber, heute auf die Studie. „Die Welt hat zu langsam reagiert.“ Gebregziaber fordert, dass die globale Gemeinschaft beim kommenden Somaliagipfel in London dafür sorgen müsse, dass es niemals wieder eine Hungersnot in Somalia gibt. Doch das ist unwahrscheinlich – aufgrund der Geschichte, aber auch der Tatsache, dass derzeit in Syrien ein ähnliches humanitäres Versagen wie einst in Somalia zu beobachten ist. UN-Organisationen fehlt Geld an allen Ecken und Enden, selbst zugesagte Mittel werden nicht oder zu spät überwiesen.

Zudem tragen die Geber nicht allein alle Schuld. Während der Hungersnot wurde etwa bekannt, dass die damalige somalische Regierung zwischen 2009 und 2011 72 von 75 Millionen US-Dollar veruntreut haben soll, die ihr von arabischen Nationen überwiesen wurden. Dass währenddessen das eigene Volk verhungerte, kratzte die regierende Elite nicht.