Sie sind die Shootingstars unter den Kirchen: mehr als 20.000 Evangelikale Kirchen, Pfingstkirchen und charismatische Bewegungen gibt es mittlerweile in Afrika. Obwohl sie so unterschiedlich sind wie die Collage, die ich oben aus Werbeplakaten zusammengestellt habe, gibt es doch Gemeinsamkeiten:
• sie sind theologisch fundamentalistisch und legen die Bibel wortwörtlich aus, die als Wort Gottes wortwörtlich interpretiert wird
• im Mittelpunkt steht das persönliche Eintreten für den Glauben und die Mission bei Andersgläubigen, selbst bei Angehörigen etablierter christlicher Kirchen und Muslimen
• ein persönliches Erweckungserlebnis, oft als Wiedergeburt tituliert, ist wichtiger Bestandteil der Pfingstkirchen
• ein gesellschaftliches Engagement im Sinne der Bibelauslegung, im Regelfall in reaktionärer Ausprägung (etwa Kampf gegen Abtreibung, Homosexualität oder Kondomgebrauch und Verneinung der Evolutionstheorie)
• in der Ansprache sind die Kirchen – im Gegensatz zu ihrem religiösen Fundamentalismus – oftmals moderner als die Amtskirchen; sie gelten als volksnah und sind in ihrer Struktur hoch flexibel. Das macht sie für breite Bevölkerungsschichten attraktiv, zugleich aber auch leicht manipulierbar.
Zwischen 20 und 25% der 2 Milliarden Christen weltweit gehören einer evangelikalen Kirche an, so Schätzungen. In Afrika wird ihre Zahl auf mindestens 100 Millionen geschätzt.Besonders starkes Wachstum genießen evangelikale Kirchen in Krisenländern, nach Putschen, Bürgerkriegen oder Unruhen. In Ruanda etwa gab es vor dem Genozid 1994 gerade einmal acht evangelikale Kirchen, heute sind es geschätzt 300 oder mehr (was auch mit der unrühmlichen Rolle der katholischen Kirche im Genozid zu tun hat, die die Verfolgung ethnischer Tutsi oftmals unterstützte).

Banner der Rhema Church in Südafrika (© Rhema Ministries, http://www.rhema.co.za)
Die Rhema-Kirche in Südafrika
Wie sieht eine evangelikale Kirche von innen aus? Als ich den Gottesdienst der Rhema-Kirche am Stadtrand von Johannesburg in Südafrika besucht habe, war ich von der Professionalität des Ablaufs unwillentlich beeindruckt.
„Alle zusammen, springt auf und ab im Namen Gottes.“ Das lassen sich die Jugendlichen in der Rhema-Kirche am Stadtrand von Johannesburg nicht zweimal sagen. Pastor Mark springt mit. Von seiner Kanzel aus Plexiglas predigt Mark, Anfang 30 und mit blondiertem Bürstenschnitt, das Wichtigste zuerst: „alle CDs im Kirchenshop kosten heute 20 Prozent weniger.“
„Mehr als nur Kirche“ steht vor dem protzigen Bau in Stil und Ausmaß einer Kongresshalle, ein paar hundert Meter von der nächsten Autobahnabfahrt entfernt. Die Parkplätze sind voll, wer hierher kommt, hat Geld. „Wir haben 1979 angefangen, mit 18 Leuten“, sagt Kirchengründer Ray McCaulay. „Heute haben wir alleine hier 48.000 Gemeindemitglieder.“ Seine Rhema-Kirche ist nur eine der Pfingstkirchen, deren Mitgliederzahlen in Südafrika förmlich explodieren. „Glaube, sei dabei, mach was aus Dir“, ist der Rhema-Wahlspruch.
In den meisten Fragen ist man konservativ. „Wir predigen Abstinenz vor der Ehe, obwohl wir natürlich wissen, dass es die hier selten gibt – aber etwas anderes können wir theologisch nicht vertreten“, so McCaulay. Seine Kirche bietet Lebenshilfe in allen Lagen. Dazu gehört vor allem die Frage: wie werde ich reich? So dreht sich Pastor Marks Predigt um eine Woche ohne Geld: der Tank war leer, dabei wartete die ganze Zeit der Brief einer ungeliebten Tante in Marks Küche, in den sie – unverhofft – einen Geldschein gesteckt hatte. „Ich habe eine Woche gelitten, aber das Geld war da“, ruft er außer Atem. „Gottes Gnade gibt uns alles, was wir brauchen, wir müssen nur an ihn glauben.“ Dann lässt Mark den Saal aufstehen. „Jetzt nehmt Eure Kollekte in die Hand und legt sie in die Körbe, wer gegeben hat, darf sich setzen.“
Mehrmals wöchentlich kommen die Rhema-Mitglieder zu Gemeindeaktivitäten, „auf der Suche nach einem spirituellen Erlebnis“, so McCaulay. Im großen Auditorium mit 7.000 Stühlen finden Sonntags fünf Gottesdienste hintereinander statt, alle sind prall gefüllt. Wieviel Geld er jeden Sonntag einsammelt, will McCaulay, der in seiner Freizeit Oldtimer sammelt und jeden Sonntag im Privatjet von seinem Anwesen in Durban einschwebt, nicht sagen. Peinlich, dass er mit seiner Kirche reich geworden ist, ist es ihm aber nicht.
„Wir sind ein neuer Typ Kirche, eine Gemeinschaft junger Prägung, anders eben“, sagt er. ‚Lebe schnell, sterbe früh‘, wirbt McCaulays letzter Bestseller für die ‚Wiedergeburt‘ in seiner Kirche. Eine CD für Analphabeten liegt bei. Und während im Büro die Kollekte gezählt wird, geht es im Kirchensaal richtig los: jeden Sonntag spielt eine christliche Band. Zum neuesten Hit der „Planetshakers“, ‚Jesus beautiful survivor‘, tanzen schon nach Sekunden alle mit.

„Facing the Muslim Challenge“ ist ein Lehrbuch für Missionare, die gezielt Muslime zum Christentum konvertieren wollen.
Andere evangelikale Gruppen haben sich gezielt der Mission verschrieben, so wie der gelernte Werkzeugmacher Robert Mühlberg (nicht sein richtiger Name), der 15 Jahre lang in Sudans Hauptstadt Khartum gelebt hat. “Ich empfinde es als Ruf von Gott, als Missionar in der moslemischen Welt zu arbeiten”, sagt der dreifache Familienvater. „Ich sehe das als Gehorsam gegenüber dem Auftrag, den Jesus seinen Jüngern hinterlassen hat”, erklärt er. “Jesus selbst hat als Zeuge seines Glaubens in der jüdischen Gesellschaft gelebt, und so machen wir es in der moslemischen Gesellschaft auch.” Zeugnis Jesu zu sein, so nennen Missionare wie Mühlberg den Kern ihres Auftrags. Sie predigen nicht von der Kanzel, sie kommen mit Moslems ins Gespräch. “Mein Ziel ist es, dass Moslems zu Jüngern Jesu werden.”
Im islamistisch regierten Sudan wird der Versuch, Moslems vom Christentum zu überzeugen, allerdings nicht toleriert. Missionaren wie Mühlberg wird, werden sie entdeckt, mindestens die Ausweisung. Noch schlimmeres droht jenen Moslems, die schließlich zum Christentum konvertieren. Denn auf den Abfall vom Islam steht die Todesstrafe. Sowohl im Koran als auch im Hadith wird kein Zweifel daran gelassen, dass Konvertierte im Diesseits wie im Jenseits verdammt sind. Mühlberg hat selbst gesehen, wie ein Konvertit sich verstecken musste und später aus dem Land floh. Doch so etwas hält ihn nicht davon ab, weiter für den Übertritt zum Christentum zu werben. Von der “moslemischen Herausforderung” spricht sein Kollege, der südafrikanische Baptist John Gilchrist, und von einem „epischen Kampf, den Kampf zwischen Islam und Christentum um die Seelen aller Erdenbürger.“ Mühlberg lächelt zustimmend. Seine niedrige Erfolgsquote ist ihm dabei schmerzlich bewusst: „Ich habe bis jetzt vielleicht eine Handvoll Moslems bekehren können, und so viele mehr werden es wohl nicht mehr werden.“
Drastische Folgen
Man muss es ja nicht mögen – aber muss es Sorge bereiten, wenn eine Handvoll fundamentalistischer Missionare versucht, Muslime zu konvertieren? Oder dass Wunderprediger wie der Deutsche Reinhard Bonnke und hunderte afrikanischer und US-amerikanischer Kollegen in Afrika vor Millionenpublikum predigen? Ja, das muss es. Denn die Radikalisierung von Christen ist (wie die von Muslimen) immer häufiger Auslöser blutiger Unruhen – etwa in der nigerianischen Stadt Jos, die ich 2010 nach Gefechten mit mehr als 550 Toten besucht habe. Mein Protokoll von damals ist leider auch heute noch aktuell.
„Ich habe morgens zuhause am Esstisch gesessen“, erinnert sich die Muslimin Aisha Haruna. „Eine Stunde vor Mittag dann hörte ich laute Stimmen an der Hintertür und ein Krachen, als sie aufgebrochen wurde.“ Haruna und ihre drei Töchter rannten zur Vordertür heraus, aber die bewaffneten Jugendlichen, christliche Milizen, sagt sie, nahmen die Verfolgung auf. „Ich dachte, wir hätten Glück, als wir auf einmal auf eine Polizeipatrouille gestoßen sind“, sagt die Mutter mit schwerer Stimme. Doch als sich Polizisten und Verfolger ein Duell liefern, wird eine von Harunas Töchtern im Kreuzfeuer tödlich getroffen. „Jetzt warte ich nur noch, bis mir jemand den Busfahrschein bezahlt, damit wir von hier zurückkehren können in mein Heimatdorf.“ In Jos, sagt Haruna, kann sie nicht bleiben.
Wenige Meter neben ihr wartet Ndusibi Oko, worauf, weiß er nicht. Seine Heimat war immer schon Bukuru, die Vorstadt, die sich nahtlos an die Provinzhauptstadt Jos mit mehr als einer halben Million Einwohner anschließt. „Als ich von einer Reise nach Hause zurückkehrte, lagen mein Haus und meine Werkstatt in Schutt und Asche“, sagt er. Muslimische Milizen hätten seine Frau und Kinder aus dem Haus gejagt und es in Brand gesteckt. „Sie haben auch meinen Vater, einen alten Mann, angezündet, der Leichnam war so verkohlt, dass ich ihn nicht mehr erkennen konnte.“ Oko hofft auf Hilfe, weil er alles verloren hat. Die Regierung des Bundesstaats Plateau hat Hilfsgelder zugesagt. „Aber die Grausamkeit, die ich erlitten habe, lässt sich mit allem Geld der Welt nicht ausgleichen.“
In weiten Teilen von Bukuru ist nach vier Tagen nackter Gewalt ein Alptraum in Grau- und Schwarztönen zurück geblieben. Die Straßen, die durch die Ortschaft führen, sind gesäumt von Gebäudegerippen. Ausgebrannte Autowracks liegen wie hingeworfen am Straßenrand. Wo der Markt war, ist heute eine rußgeschwärzte Wüstenei.
„Dieser Kampf ist vorbei, aber die Nervosität bei den Christen ist geblieben“, beschreibt Tersur Aben, Kanzler am Theologischen College für Nord-Nigeria in Bukuru die Lage. Seit dem Einmarsch der Armee, die auf den Hauptstraßen von Jos alle 500 Meter Straßensperren errichtet hat, wird zwar nicht mehr gekämpft. Doch von Normalität ist nichts zu spüren: Jos gleicht einer Stadt unter Belagerung.
Aben gehört zu denen, die glauben, dass die Kämpfe weitergehen werden. „Das ist ein geplantes Pogrom der Haussa-Fulani, und Jos ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Herrschaft über das ganze Land.“ Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Jos und der Bundesstaat Plateau die letzte Insel sind, in der das muslimische Recht nicht gilt. Seit der Jahrtausendwende ist es überall weiter nördlich, westlich und östlich eingeführt worden. „Wir sind eine Frontstadt“, erklärt Kanzler Aben mit fester Stimme.
Tassie Ghata gehört zu denen, die an der Front kämpfen. ‚Gnade und Licht International‘ heißt die Missionsbewegung, der die Nigerianerin vorsteht. Vor einigen Tagen hat sie der Regierung in Abuja einen Bericht überstellt, in dem der Ablauf der jüngsten Ereignisse aus Sicht einer ‚Koalition christlicher Pfarrer‘ beschrieben wird. „Wir leben in einem christlichen Bundesstaat“, beginnt Ghata ihre Version der Ereignisse. „Was hier passiert, das ist ein heiliger Krieg gegen uns Christen und die einheimischen Stämme, ein Dschihad.“ Ghata zufolge sind am Dschihad islamische Extremisten und Söldner aus dem muslimischen Nachbarstaat Niger beteiligt – Behauptungen, für die es keinerlei Beweise gibt. Doch die fordern Ghatas Glaubensbrüder und -schwestern auch nicht. „Wir haben keine Angst mehr, wir fühlen inzwischen vor allem Wut und Hass.“ Zwar rate sie von Angriffen auf Muslime ab. „Aber ich rate niemanden davon ab, sich zur Wehr zu setzen.“
So aufgeheizt wie Tessie Ghatas Predigt ist die Stimmung in Jos schon seit Monaten. Im November machten erstmals Gerüchte die Runde, dass es bald einen Angriff auf Christen in Jos geben werde. Das Misstrauen wächst, christliche Jugendmilizen halten Wache in den Straßen. Aus Angst vor ihnen marschieren bald auch Tag und Nacht muslimische Jugendliche auf. Niemand kann sagen, wie genau diese Unruhen begonnen haben. Aber die meisten glauben, dass der Anlass selbst unbedeutend war: ein kleiner Zwischenfall, nach dem sich die Gewalt kaskadenhaft entlud. „Wir haben schon seit Wochen Hass-SMS bekommen“, erinnert sich Umar Farouk von der islamischen Bürgerbewegung ‚Jamaat Nazrel Islam‘. „Ende Dezember haben dann Prediger in einer Pfingstkirche im Gottesdienst behauptet, die Muslime würden bereits Waffen sammeln.“ Farouk dementierte vor der Presse – doch das Gerücht war in der Welt. Nicht zufällig, sagt er. „Was wir hier von den Christen gesehen haben, ist der Versuch ethnischer Säuberungen, die wollen uns vertreiben.“
Überfremdungsängsten der Christen in Jos widerspricht Farouk vehement. „Wir sind in den politischen Strukturen doch praktisch nicht repräsentiert, und das, obwohl die Verfassung jedem Nigerianer Freizügigkeit garantiert.“ Muslime wie er gehen in die Offensive: sie wollen mehr, nicht weniger Mitspracherecht. „Nur wenn wir gleichberechtigt in Politik und Verwaltung repräsentiert sind, kann es gegenseitiges Verständnis geben.“
(Der Beitrag besteht aus Ausschnitten eines Vortrags, den ich am 17. April 2013 am Ökumenischen Institut der Universität Luzern gehalten habe)