
Malis Hauptstadt Bamako. Die islamistischen Rebellen sollen bis auf 400 Kilometer an sie herangerückt sein.
Wenn Valéry Giscard d’Estaing das Abenteuer suchte, ging der französische Premier auf Großwildjagd mit seinem Freund Jean-Bedel Bokassa, dem selbsternannten Kaiser der Zentralafrikanischen Republik. Bokassa, der sich von seinem Volk auch als Großmeister des Internationalen Ritterordens der Briefmarkensammler und manches mehr verehren ließ, hatte zwar allein für seine Krönungszeremonie den kompletten Jahresetat der bettelarmen Ex-Kolonie Frankreichs verbraten. Der Männerfreundschaft aber tat das keinen Abbruch, nicht nur bei der Antilopenjagd. Bei Putschversuchen ist bis heute die französische Armee zur Stelle, um den Herrschenden zu schützen – bis Paris ihn aufgibt. Jeder der zentralafrikanischen Herrscher nach der Unabhängigkeit 1960 ist durch einen Putsch an die Macht gekommen, und niemand ohne Unterstützung aus der Grande Nation.
Ob Zentralafrika, Mali, Gabun oder Madagaskar: die Franzosen haben ihre Kolonien nie wirklich aufgegeben – von Algerien einmal abgesehen. Erst vor wenigen Jahren wurde die Komoreninsel Mayotte zum 101. Départment gekürt. Mayotte gehört zu den Trauminseln, die Frankreich sich bis heute mit Millionen aus Paris und Brüssel als Überseedepartments hält, die Teil der EU sind. Der winzigen Insel im Indischen Ozean geht es deshalb so gut, dass die restlichen, seit 1975 unabhängigen Komoreninseln in Paris den Antrag stellten, re-kolonisiert zu werden – ohne Erfolg. Doch Geld bekommen auch sie, und auch auf den Komoren darf nur putschen, wer Paris genehm ist.
Im Gegenzug sind französische Unternehmen die ersten, die die Ressourcen der Ex-Kolonien ausbeuten dürfen. In Mali etwa sucht der französische Ölmulti Total gerade dort nach Öl, wo die Islamisten die Macht übernommen haben. Und der Uran-Gigant Areva sucht in Mali nach neuen Vorkommen des Erzes, das Frankreichs AKWs am Laufen hält. Auch sonst haben Franzosen ihre Finger in nahezu allen Wirtschaftssektoren, ob Tourismus, Nahrungsmittelverarbeitung oder Logistik. Air France sorgt dafür, dass das Land ohne Seezugang an die Welt – sprich: Paris – angeschlossen ist, obwohl die Direktflüge nach Bamako wie auch in die anderen Hauptstädte der Ex-Kolonien oft defizitär sind.
Das alles kann man durchaus positiv bewerten. Was wäre wohl gerade aus den Sahelstaaten wie Mali geworden, sagen manche, wenn Frankreich nicht immer wieder mit Staatsgeldern und im Zweifel mit der Armee eingegriffen hätte? Stabilität kommt in dieser Weltregion nicht von alleine. Und die Schutzmacht aus Paris war stets da, um denen zu helfen, die der afrikanische Philosoph Frantz Fanon einmal als schwarze Männer hinter weißen Masken beschrieben hat: die schmale, herrschende Schicht des Landes, die das Geschick der meist bettelarmen Mehrheit bestimmt und damit auch das Geschick der französischen Investoren. Nur ein Bruchteil der Malier hat die Chance zu studieren; wer es tut, zumal in Frankreich, steigt unweigerlich früher oder später in die Elite des Landes auf. Oft sind es französische Institutionen, die ein Studium in Frankreich durch Stipendien überhaupt ermöglichen. Wer es in Französisch-Afrika zu etwas bringt, der ist bereits Teil des Netzwerkes, das offiziell als Françafrique – von France, Frankreich und Afrique, Afrika – gelobt wird. França-Fric nennen dagegen Kritiker das Modell, Von France – Frankreich und Fric – Moneten.
Doch es ist nicht einfach so, dass Frankreich seine Kolonien bis heute ausbeutet. Das Verhältnis ist komplizierter, gegenseitiger. 56 Staaten sind heute Mitglied der Francophonie, die französische Sprache und Kultur schützt. Welche Bedeutung hätte das Französische heute wohl noch, wenn in Mali die Mehrheitssprache Bambara oder in Zentralafrika Sango die Staatssprachen wären?
Mehr als 11 Prozent aller Waren importiert Mali bis heute aus Frankreich, auch von Herstellern, die unter normalen Bedingungen kaum konkurrenzfähig wären. Malis Generäle werden von Frankreich trainiert und mit französischen Waffen ausgerüstet. Die Vielzahl von Geldflüssen, die Sprache und die allgegenwärtige Orientierung nach Paris machen es neokolonialen Mitbewerbern wie China oder der Türkei in den französischsprachigen Ländern schwerer als anderswo in Afrika. Frankreich und seine Ex-Kolonien, das ist ein geschlossenes System.
Dieses System wird jetzt durch die Islamisten im Norden Malis bedroht. Deshalb ist Frankreichs Armee vor Ort, obwohl Präsident Hollande nach seiner Wahl versprach, Frankreichs Einmischung in afrikanische Angelegenheiten werde mit ihm ein Ende haben. Doch die Grande Nation verdankt ihre Größe – mental und real – heute zu einem guten Teil den ehemaligen Kolonien. Auf ihre Unterstützung zu verzichten, scheint nicht denkbar – nicht nur wegen der riesigen Ressourcen, die noch unerschlossen unter Afrikas Erde liegen. Wer in Französisch-Afrika regiert, wird deshalb vorerst weiter in Paris bestimmt. Von Selbstbestimmung und Demokratie sind Malier wie Zentralafrikaner damit noch genauso weit entfernt wie zu Kolonialzeiten.
(Langversion eines Kommentars in WDR5 Politikum vom 15.1.2013)