Sozialwohnung für 2000 Euro

Statistiken sind im Allgemeinen dazu da, uns zu bestätigen, was wir ohnehin schon wussten. So auch die Erhebung „Wo lebt es sich am teuersten“ des britischen Magazins The Economist. Seit sie gestern veröffentlicht wurde, weiß ich offiziell, dass meine Schweizer Wahlheimat Genf die drittteuerste Stadt der Welt ist. London, New York, Dubai liegen abgeschlagen auf hinteren Rängen. Überraschen dürfte das nur die, die nicht in Genf leben.

Genfs Vermieter sind bemüht, Zuziehende früh an die außergewöhnlichen monetären Realitäten heranzuführen. Auf Wohnungssuche brachen meine Frau und ich in Jubel aus, als wir ein familientaugliches Drei-Zimmer-Apartment für umgerechnet „nur“ 2 000 Euro Monatsmiete fanden. Der Jubel ver- ebbte, als man uns erklärte, es handele sich bei so einem Schnäppchen selbstredend um eine Sozialwohnung. 3 000 Euro muss man schon berappen, mindestens. Leerstände gibt es dennoch nicht. Weil große Firmen und internationale Organisationen wie die UN die Mieten der Mitarbeiter bezuschussen oder übernehmen, verlangen Vermieter jährlich steigende Phantasiepreise.

Wer schon einige Tausender an Miete zahlt, ist hinreichend abgestumpft, um den Einkauf in Genf zu erledigen. Das Pfund Hackfleisch zu umgerechnet 16 Euro ist günstig im Verhältnis zum Steak, das pro Kilo mit 60 Euro zu Buche schlägt. Kein Wunder, dass die meisten Genfer ihr Fleisch (und alle anderen Gegenstände des täglichen Bedarfs) im nahen Frankreich kaufen. An Wochenenden halten Schweizer Grenzbeamte verdächtige Familienkutschen an, um den Einkauf zu durchsuchen. Durchgewinkt werden vor allem die Jaguars, Rolls Royces, Lamborghinis und Ferraris, die massenhaft durch Genfs Straßen rollen. Ihre Besitzer sind der Grund dafür, dass Genf nicht nur eine der teuersten, sondern auch eine der reichsten Städte der Welt ist. Zu Recht vermuten die Grenzer wohl, dass Superreiche ihr Fleisch nicht selbst in die Villen schmuggeln, sondern allenfalls schmuggeln lassen.

Ein Leben in Genf hat aber auch Vorteile: Man sieht etwas von der Welt. Nie hätte ich gedacht, dass mir ein Luxuswochenende in London so billig vorkommen könnte. Auf die Frage, wo man mal richtig gut essen gehen könnte, antwortet der Genfer: In Paris. Da wird man zumindest satt. Für ein richtig gutes Menu in Genf muss man mindestens 200 Euro pro Kopf auf den Tisch legen – Wein, der pro Flasche auch mal 400 Euro kosten kann, exklusive. Doch ich will nicht jammern. Es könnte schlimmer sein. Wir könnten in Tokio leben. Oder gar in Zürich, der derzeit teuersten Stadt der Welt.